So entschloss sich Lessing zu dem Versuch, "ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater wenigstens noch ungestört wird predigen lassen". Mit dem Dramatischen Gedicht Nathan der Weise und der Ringparabel als Höhepunkt sowie der Enthüllung von Menschen verschiedenen Glaubens als Mitglieder einer einzigen Familie schuf er ein Plädoyer für Vernunft, Toleranz und praktische Humanität. Dass seine Botschaft nach über 240 Jahren nichts an Aktualität eingebüßt hat, zeigt der Regisseur Stefan Bachmann. Dem Bau, den Sagen und der Geschichte des Kölner Doms widmet sich Oliver Frljić. Inspirieren lässt er sich dazu von Ivo Andrić' Roman Die Brücke über die Drina. Wie um diese Brücke und die Stadt Višegrad so schlingt sich auch um den Dom und die Stadt Köln ein Band gemeinsamer Überlieferung und gemeinsamen Schicksals. Wie die Brücke bildet auch der Dom einen ruhenden Pol inmitten mannigfaltiger Begebenheiten. Und wie in Višegrad ist auch in Köln das friedliche Zusammenleben von Muslim*innen, Christ*innen und Jüdinnen*Juden an die Toleranz gebunden.
Die bewusst eingesetzte Reduzierung in Bühnenbild und Requisiten lenkt die Betrachtung des Zuschauers dabei konsequent auf die bedeutende Handlung sowie auf die kunstvollen Dialoge der Akteure – kurz gesagt: der Inhalt und die Botschaft stehen im Fokus. Das Drama "Nathan der Weise", welches den Schülern und Schülerinnen bereits aus dem Deutschunterricht bekannt war, entfaltet dabei in der szenischen Darstellung erst seine tatsächliche Wirkungsweise. So erwachen der Klosterbruder, der Tempelherr, Nathan, Recha und Saladin plötzlich zum Leben und mit ihnen zahlreiche Szenen. Den Höhepunkt der Aufführung stellt, wie auch im klassischen Drama, die Ringparabel dar. Die beinahe provokante Frage Saladins nach der "einzig wahren" Religion beantwortet Nathan dabei anhand eines Gleichnisses, in welchem er die Toleranz gegenüber den Religionen pointiert. Gerade angesichts aktueller politischer und religiöser Differenzen und Konflikte wird deutlich, dass die Thematik und Aussagekraft des Dramas "Nathan der Weise" auch beinahe 250 Jahre nach seiner Veröffentlichung nicht an Relevanz verloren hat.
Ganz im Gegenteil; die Botschaft scheint wichtiger denn je! Insgesamt handelt es sich um einen gelungenen Auftritt, in welchem trotz der inhaltlichen Fülle auch einige, durch Situationskomik bedingte, lustige Stellen ihren Platz finden. Luca Julie Kuhlmann