Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21. 04. 2018 Wie Abraham Gott entdeckte Im Textgebirge: Thomas Manns Josephs-Romane neu erschlossen Die christlichen Theologen hatten es zunächst gar nicht mit Thomas Manns vierteiligem alttestamentarischen Roman-Zyklus "Joseph und seine Brüder". Zu heiter-spaßhaft wirkte die artistisch bewusste Sprache, zu sinnlich kam der Ägypten-Flitter mit seinem Art-déco-Charme gegen die ihrerseits bukolische, fast ein bisschen Rokoko-hafte Hirtenwelt der Urväter Israels zur Geltung – und überhaupt: Was hatte in all dem Wortzauber der strenge Gott des Alten Testaments zu suchen? Gerhard von Rad, einer der großen protestantischen Alttestamentler des 20. Jahrhunderts, glaubte allen Ernstes, Thomas Mann habe nur die These Ludwig Feuerbachs von der "Erfindung" Gottes durch die Menschen bebildert. Das wäre in der Tat ein trauriges Resultat für eine Schreib- und Denkanstrengung von fast zwanzig Jahren und fast zweitausend Seiten. Am Donnerstagabend begab sich Großes in der Katholischen Akademie von Berlin: Der Ägyptologe Jan Assmann und der Germanist Dieter Borchmeyer stellten die monumentale Edition vor, die sie zusammen mit Stephan Stachorski für die Frankfurter Thomas-Mann-Ausgabe des S. Fischer Verlags erarbeitet haben.
Assmann beschreibt das Ägyptenbild der Josephsromane und vergleicht die Josephsgeschichte Manns mit der biblischen Erzählung sowie ihrer ägyptischen Urgestalt. Höchst aufschlussreich sind auch die abschließenden Vergleiche mit zeitgenössischen Werken wie Arnold Schönbergs "Moses und Aron" und Sigmund Freuds "Der Mann Moses". BuchLink. In Kooperation mit den Verlagen ( Info): Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18. 11. 2006 "Glänzend geschrieben" findet Rezensent Gustav Seibt Jan Assmanns neues Buch, in dem der Ägyptologe und Religionswissenschaftler seine berühmten Thesen zu Mythos und Monotheismus anhand von Thomas Manns Roman "Joseph und seine Brüder" durchspiele. Daneben biete diese Studie ihren Lesern aber auch die Erkenntnis, dass Thomas Mann sein Romanwerk auf der Basis der neuesten Wissenschaft verfasst habe. Auch nimmt Seibt das Buch "mit Dankbarkeit" als religionstypologische Lesehilfe für den umfangreichen Roman zur Kenntnis und teilt Assmanns Auffassung, Mann habe sich in seinem Roman raffiniert auf das "figurale Denken" alteuropäischer Bibelexegese bezogen.
Für die hier vorgestellten vier Bände der Joseph-Tetralogie - "Die Geschichten Jaakobs" und "Der junge Joseph" sowie "Joseph in Ägypten" und "Joseph der Ernährer" sind wie die ihnen zugeordneten vielfältigen Kommentare jeweils in einem Band zusammengefasst - waren vor allem Jan Assmann, Dieter Borchmeyer und Stephan Stachorski aktiv. Schon bei einer ersten Inspizierung stellt man fest: besser sind die Texte, entstehungsgeschichtlichen Hintergründe, die ästhetischen, biographischen, historischen Zusammenhänge sowie die Rezeptionsgeschichte eines schriftstellerischen Werks noch nicht erarbeitet und dem Publikum präsentiert worden. Was mit der Edition der "Buddenbrooks" im Jahr 2001 schon überaus überzeugend begann, mit dem "Zauberberg", dem "Doktor Faustus" und dem "Felix Krull" (um nur drei Titel zu nennen) ebenso erfolgreich fortgesetzt wurde, erfährt mit diesen vier Bänden eine überaus begeisternde Fortsetzung: Man kann das Resultat der vieljährigen Bemühungen der Herausgeber mit Aufspüren neuer Quellen und Materialien in verschiedenen Archiven, deren Sichtung und Ordnung, schließlich der sinnstiftenden Zusammenführung von Ursprungstext und Kommentarstellen nicht hoch genug loben.
Neue Kurzmeinungen H Das Werk ist der Hammer. Man braucht allerdings schon Durchhaltevermögen. S Thomas Manns Hauptwerk, deshalb: gegen das Vergessen. Wer sehen möchte, wie man eine allerseits schon bekannte Geschichte erzählen kann. Alle 47 Bewertungen lesen Auf der Suche nach deinem neuen Lieblingsbuch? Melde dich bei LovelyBooks an, entdecke neuen Lesestoff und aufregende Buchaktionen. Inhaltsangabe zu " Joseph und seine Brüder I " Thomas Manns vierbändiger Josephsroman ist ein Gipfelwerk des 20. Jahrhunderts. Zwischen 1933 und 1943 erschienen, stand diese große biblische Erzählung von Anfang an konträr zur Nazi-Ideologie, sie eröffnet Perspektiven auf die Menschheitsgeschichte und gilt heute als großes Monument des Exils und der Humanität. Voller Schönheit und Erotik, humorvoll, subtil und detailreich erzählt Thomas Mann von Josephs Fall und vom Verrat durch die Brüder, von Gefangenschaft und Aufstieg in Ägypten. Die zweibändige Taschenbuchausgabe enthält die textkritisch edierte Fassung des Textes aus der »Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe«.
Sie häuft neben das Textgebirge Thomas Manns einen sogar noch ein wenig längeren Kommentar zu einer Gesamtmasse von nun 4100 Seiten. Wer glaubt, das sei eine Angelegenheit für fleißige Fachleute, den belehrte ein Blick ins Publikum des zum Brechen gefüllten großen Saals der Akademie eines Besseren. Wenn es so etwas wie Bildungsbürgertum noch gibt, dann war es hier zu sehen. Borchmeyer tat einen guten Griff, indem er gleich auf den theologischen Kern zusteuerte und ein paar Absätze aus dem Kapitel "Wie Abraham Gott entdeckte" vortrug. Das darauf folgende Zwiegespräch der beiden Hauptherausgeber, die sich wie ein altes Paar die Bälle zuwarfen, riss mit jedem Satz eine neue Fluchtlinie in die Geistesgeschichte auf. Abrahams ehrgeizig-demütiger Wunsch, nur dem Höchsten zu dienen, also noch hinter den Himmel mit Sonne, Mond, Sternen, Weltall zu gehen und Gott transzendent zu denken, ihn regelrecht herausdenken, so wie man eine Figur aus Gestein herausmeißelt, ist eben keine "Erfindung", sondern eine "Entdeckung".
Die psychologischen Untiefen seiner Figuren auslotend – insbesondere der weiblich konnotierten und Frauenfiguren –, sind nur eine Schicht der an anthropologischen, kulturgeschichtlichen, bibelwissenschaftlichen und ägyptologischen Material geschulten Arbeit Thomas Manns. Die Idee eines Josephprojektes hat ihn Jahrzehnte lang begleitet, wodurch verschiedene Einflüsse früherer Interessengebiete des Autors im Spätwerk zusammenlaufen mit fachwissenschaftlichen Recherchen über die frühe Hochkultur Ägyptens sowie bibelwissenschaftlicher Sekundärliteratur, ohne die kaum ein solcher Fundus von Vorstellungsbildern, Legenden und Stoffvarianten in die Tetralogie hätte eingehen können. Kaum ein anderes Werk Manns entwickelt eine solche Dichte und Konsequenz der Durchführung seines Themas, das nichts weniger als die kulturelle Praxis der Erzählung als Mittel der Deutung und Erklärung der Welt ist. Die Herausgeber der neuen Ausgabe nun gehen dieser Spurensuche und Recherchetätigkeit des gelehrsamen Autors nach, wenngleich er dieses Prädikat doch ungern trug.