Foto: Nils Ole Von Luigo Nono. Lebendig ist, wer wach bleibt Sich dem anderen schenkt Das Bessere hingibt Niemals rechnet Lebendig ist, wer das Leben liebt Seine Begräbnisse, seine Feste Wer Märchen und Mythen auf den ödesten Bergen findet Lebendig ist, wer das Licht erwartet in den Tagen des schweren Sturms Wer die stillen Lieder ohne Geschrei und Schüsse wählt Sich dem Herbst hinwendet und nicht aufhört zu lieben Luigi Nono (* 29. Januar 1924 in Venedig; † 8. Mai 1990 ebenda) war ein italienischer Komponist hier mehr.
Archiv Der italienische Komponist Luigi Nono schrieb seinen expressiven Aufschrei gegen Intoleranz, Inhumanität und Kolonialismus 1960. Dirigent Stefan Klingele hat das Stück mit Regisseur Benedikt von Peter für die Bühne der Staatsoper Hannover inszeniert. "Abends Premiere. Die Faschisten machen organisierten Skandal. Einige werden von der Polizei verhaftet" Es fängt ja ganz gut an. Im Foyer sind kleine Radioempfänger aufgebaut, Marke 50er-Jahre, allerdings mit modernem LED-Licht. Aus denen tönt ein undefinierbares Gewirr von Lauten mit auch einer Rezitation von Carla Henius' Bericht über die Venezianer Uraufführung. "Natürlich wissen wir alle, dass Gigi Mitglied der KPI ist. " Drinnen im Saal wird man dann zunächst in die mit Staubtüchern verhängten Parkettreihen komplimentiert. Aus den Lautsprechern ertönen Stimmen. An den eisernen Vorhang ist ein Gedicht projiziert: "lebendig ist, wer wach bleibt…" Dann geht's auf die Bühne, wo schon Chor, Solisten und Musiker sitzen, stehen, gehen, liegen.
Vielmehr ist damit nur der eine Pol einer ziemlich kühn konstruierten theatralen Situation gesetzt. Wenn wir Zuschauer dann nämlich ins Auditorium gebeten werden, finden wir die Sitzreihen verhüllt, und der Eröffnungschor kommt schon wieder aus Lautsprechern, nun aber im Mehrkanalsound der 2010er Jahre: " Lebendig ist, wer wach bleibt / sich den anderen schenkt... " Hier, und nochmals ganz am Schluss, wenn es heißt: " Ihr, die auftauchen werdet aus der Flut / in der wir untergegangen sind, / gedenkt auch der finsteren Zeit, / der ihr entronnen seid. " – hier sind wir wirklich Zuschauer. Dazwischen aber werden wir nicht nur hineingezogen in jenes Gedenken, sondern mitten in das Theatergeschehen selbst. Komparsen veranlassen uns, mit ihnen auf die Bühne zu gehen. Plötzlich sind die Choristen mitten unter uns, hautnah beobachten wir Aufbruch, Gefangenschaft, Folter. Und in der vielleicht innigsten Szene dieses denkwürdigen Opernabends, wenn die Komparsen alle genötigt haben, sich auf Decken niederzulegen, so dass der Blick in den Schnürboden schweift, wo sich die Prospektzüge sanft bewegen und wie aus dem Nirgendwo die Stimme der "Gefährtin" erklingt: "Ach könnte man sorglos sein und die Wunder der Natur und der Liebe entdecken... " – dann erleben wir diese Hoffnung wie einen wunderbaren Traum.
In Lauwers' gewaltigem Ensemble sind sie freilich kaum auseinanderzuhalten, bilden die Singenden mit den Tanzenden von Bodhi-Project und SEAD eine heterogene Einheit, ein menschheitliches Kollektiv, immer in Bewegung, zumeist auf der Flucht, Opfer und Täter, Staatsgewalt und stumme Masse. Es ist die Qualität der Musik und der wild-lebendigen szenischen Umsetzung, die den Abend durchwegs davor bewahrt, künstlerisch profanem Polit-Aktivismus oder plump provokanter Schock-Ästhetik anheimzufallen. Mit Nonos Leidenschaft für die engagierte Kunst, seinem herausgebrüllten Bekenntnis für ein Theater, das wirksam sein muss, geht Lauwers bei aller Gewalt und Körperlichkeit behutsam um. Findet eine Bildsprache, die aus echten, empathiefähigen Menschen gemacht ist, und erfüllt damit seine Eigendefinition als "Porträtist". Die Dringlichkeit, die Heutigkeit von "Intolleranza" bedarf keines weiteren Fingerzeigs. Flutkatastrophen und Fluchtbewegungen füllen unseren täglichen Diskurs, während der Premiere stehen die Taliban vor der Machtübernahme, geraten Schlauchboote in Seenot, toben Gewitter, die angstvolle Prognosen in sich tragen.
(S E R V I C E - "Intolleranza 1960" von Luigi Nono. Musikalische Leitung: Ingo Metzmacher, Regie: Jan Lauwers. Mit Sean Panikkar, Sarah Maria Sun, Anna Maria Chiuri, Antonio Yang, Musa Ngqungwana, Victor Afung Lauwers. Wiener Philharmoniker. Weitere Termine am 20., 26., 29. August. Felsenreitschule. )
Viele Grüße Henning Bävenroth und Melanie Wolf
Mit leisen, aber bestimmten Anweisungen schält Boris Randzio Bewegungen aus seinen sechs Tänzerinnen und Tänzern heraus. Es ist ein äußerst feines, fragiles, ganz und gar nicht lautes Arbeiten, ein intensives Forschen und Ausloten auch als ein Geben und Nehmen, ein Aufnehmen, Weiterdenken, Zurückgeben, Sich-gegenseitig-Stützen. Immer wieder wird aber auch gelacht, bricht das volle Leben, eine ausgelassene Freude hinein in diese Atmosphäre eines Arbeitens von geradezu "heiligem Ernst". Als stiller Beobachter erlebt man staunend, wie sieben Menschen vorsichtig, miteinander in Kontakt treten, fast ein wenig scheu, voller Respekt, aber auch einer großen Neugier aufeinander, obwohl man sich schon seit vielen Jahren kennt. Beziehungen entwickeln sich, Vertrauen entsteht, Fragen werden gestellt, Antworten gesucht – und doch bleibt der Raum offen, so dass jeder frei atmen kann. Zu drei Paaren, die den Zusammenhalt nicht verlieren, hat Boris Randzio seine drei Tänzerinnen und drei Tänzer zusammengestellt, die Frauen auf Spitze.