I n diesem Garten ist fast alles anders. Eine klassische Aufteilung sucht man ebenso vergeblich wie thematisch gestaltete Gartenzimmer. Nicht mal eingefasste Beete gibt es. Man kann diese Anlage zwar mit einem Blick überschauen, die Vielfalt jedoch ist nicht so leicht zu erfassen. Eigentlich ist es kein Garten, sondern eine gigantische Staudenwiese, vollgepfropft mit Hunderten von faszinierenden Pflanzen. Sie verweben sich zu einem geradezu magisch wogenden Blütenmeer. "Wildstaudenzauber" hat Jochen Wegner sein Reich getauft, und dieser Zauber ist es, der jährlich viele Garten-Fans in das winzige Dörfchen Groß Potrems in Mecklenburg-Vorpommern zieht. Denn hier sind 600 Wildstaudenarten in schönster Gemeinschaft vereint. Pflanzenschätze aus aller Welt. "Naturalistischer Gartenstil" nennt Wegner ganz bodenständig sein Werk, Modebegriffe wie New German Style oder New Perennials vermeidet er bewusst. Es geht ihm um die "Wirkung des Gartens als Ganzes, seine Pflanzengestalten, seine Lichtstimmungen und Düfte – und das Wohlgefühl seiner Besucher".
Ein Garten, gestaltet im naturalistischen Stil? Was genau sich dahinter verbirgt, erfuhren wir beim Besuch in Jochen Wegners Pflanzenreich in Groß Potrems. Hier ist die Natur Ideengeber. Leidenschaftlicher Pflanzensammler fremder Arten Ach nein, dieses Konzept passt nicht zu seinem Verständnis von Garten, erklärt Jochen Wegner bestimmt, und grenzt sich damit ab von den Verfechtern der Naturgartenlehre. Ausschließlich heimische Wildarten zu verwenden, wie dort gefordert, würde ihn doch allzu sehr einschränken. Schließlich hat der Agrarwissenschaftler seine Gartenleidenschaft als passionierter Pflanzensammler begonnen und auf zahlreichen botanischen Reisen in den fernen Osten, nach Amerika und Kanada die Vielfalt und den Reiz fremdländischer Arten für sich entdeckt. Gartenimpressionen wie von der Natur gemalt Außerdem: Sind all die Knöteriche, Sonnenhüte oder Goldkolben denn nicht auch Wildstauden? Nur eben nicht hier im Mecklenburgischen zu Hause, sondern in anderen europäischen Ländern, in Nordamerika oder Asien – in Landstrichen mit ähnlichen klimatischen Bedingungen.
Der Kontrast "Tausend Sonnen im August" folgt sogleich, wie jedes Kapitel mit wunderbaren Stimmungsbildern, aber auch informativen Pflanzenporträts und guten Beschreibungen. Das Gartenbuch ist langsam im Herbst angekommen mit dem Kapitel "Der große Auftritt der Gräser", gefolgt von "Es wird noch einmal blau im Herbst". Jede Seite des Buches ist so ästhetisch bebildert, dass ich eigentlich nach jedem Foto oder Satz sofort losfahren möchte, um das alles live zu erleben. Es ist unglaublich, wie Jochen Wegner seinen Garten nach der Natur "gemalt" hat. Ich bin überzeugt davon, würde ich darin stehen, fühlte ich mich befreit und wie in einer Traumlandschaft ohne Zaun oder Mauergrenzen. Gräser, Samenstände und vor allem die Laubfärbung im Herbst sind in den meisten Gärten der zweite Höhepunkt im Gartenjahr. Aber was kommt dann, wie ist das nun in Groß Potrems? Ich erfahre es in "Wenn die Blätter fallen". Und ich muss gestehen, die Fotos sprechen mich genauso positiv an, wie die Frühlingsbilder, oder die Üppigkeit des Sommers im Garten.