Alle Jugendliche singen die faschistischen Lieder – bis auf einen Rund 29 Millionen Menschen verließen in der Hoffnung auf ein wirtschaftlich besseres Leben zwischen den 1860ern und Mitte der 1980er-Jahre Italien. Viele gingen ins Nachbarland Frankreich. "Bella Ciao" handelt von ihnen. Der Comic ist eine Collage aus Szenen und Fragmenten, die von 1893 bis in die Gegenwart reichen. Vieles davon spielt sich in der industriell geprägten nordfranzösischen Region Lothringen ab, wo Baru selbst 1947 als Sohn eines italienischen Arbeiters zur Welt kam. Da erklärt zum Beispiel ein Greis seinen staunenden Enkeln, warum auf einem vergilbten Foto ein junger Mann – sein Bruder – die Hosenbeine abgeschnitten trägt: Von ihrem hart verdienten Geld hatten sich viele italienische Migranten zu Beginn des 20. Jahrhunderts feine Lederschuhe gekauft, und die sollten nun alle sehen, um zu begreifen, dass sie keine armen Bauern mehr waren. In einer anderen Episode machen in den 1990ern zwei italienischstämmige Franzosen mit ihren Familien Urlaub auf Sardinien – und genießen es, dass sie endlich Italienisch sprechen können, ohne schief angeschaut zu werden.
Das Protestlied ist ein Phänomen, für das es auf den ersten Blick eine simple Erklärung gibt. Der Song kommt mehrfach in einer beliebten Netflix-Serie vor. 2018 veröffentlichte der Streaming-Anbieter die spanische Serie "Haus des Geldes". Die Helden sind Bankräuber, die einen Teil ihrer Beute im Robin-Hood-Stil verteilen. Vor ihren Raubzügen singen sie "Bella Ciao". Wie wird ein Lied zum Protestsong? Die Serie "Haus des Geldes" wurde zwar schnell zum weltweiten Klick-Hit, "Bella Ciao" wurde unter anderem in Deutschland Sommerhit des Jahres 2018. Aber wird das Lied deswegen so oft bei Massendemonstrationen gesungen? "Nein, die Serie allein erklärt das sicher nicht", sagt Sozialwissenschaftlerin Nina-Kathrin Wienkoop. Es gebe andere Kriterien für den Erfolg eines Protestsongs. Für ihre Doktorarbeit hat sie sich mit Jugendbewegungen und Protestsongs beschäftigt. Inzwischen leitet sie am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung ein Projekt zu Jugendengagement. Demonstration in Santiago de Chile: Ein Demonstrant hat sich als Bankräuber aus der Netflix-Serie verkleidet.
(Oktober 2019) (Quelle: Aton Chile/imago-images-bilder) "Bei solchen Gesängen geht es darum, die Motivation der Gruppe aufrechtzuerhalten. Darum sollte der Song einen einfachen Refrain haben, den jede oder jeder singen kann. Und eine eingängige Melodie", erklärt Wienkoop. "Ein Song, der schon lange existiert, hat außerdem eine noch bessere Chance. Bei 'Bella Ciao' ist das zum Beispiel so. Er wurde im Zweiten Weltkrieg zum Widerstand gegen den Faschismus gesungen. Es gibt also schon eine inhärente Widerstandsgeschichte und das ist auch international bekannt. " Empfohlener externer Inhalt Youtube Wir benötigen Ihre Zustimmung, um den von unserer Redaktion eingebundenen Youtube -Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren Youtube -Inhalte auf) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren. Youtube-Inhalte immer anzeigen In Italien trifft das zu, wo Demonstranten mit dem Lied gegen Rassismus auf die Straße gehen. Auch in Indien, Deutschland und in Frankreich erklingt die Melodie bei Protesten gegen Rechtsradikalismus und -populismus.
Nach und nach erhellt sich das Geschehen aber. Und liest man den Band einfach noch ein zweites Mal, so entblättern sich immer mehr Details, taucht man immer tiefer ein in diese Geschichten von Herkunft und Identität. Der Strich, mit dem Baru diese Schicksale und Lebenslinien einfängt, ist detailliert, aber zugleich leicht und dynamisch. Seine Figuren sind ausdrucksstark, der Wechsel zwischen schwarz-weißen und in blassen Aquarellfarben gehaltenen Episoden sorgt zusätzlich für Abwechslung. "Bella Ciao" wurde wohl erst später zu dem ikonischen Lied, das es heute ist Ein beherrschendes Thema ist der Riss, der sich durch die italienische Diaspora zieht und der selbst viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg nicht verheilt ist: Auf der einen Seite die Anhänger des faschistischen Diktators Mussolini, auf der anderen die Demokraten und Kommunisten. Das titelgebende Lied "Bella Ciao" taucht dabei immer wieder auf, und auch seine Herkunft wird neu verortet: Gesungen wurde es, wie Baru erzählt, ursprünglich mit einem anderen Text von Reispflanzerinnen aus dem italienischen Norden.
Und falls ich als Partisan sterbe Dann musst du mich begraben. E seppellire lassù in montagna, sotto l'ombra di un bel fior. Begrabe mich dort oben auf dem Berge Unter dem Schatten einer schönen Blume. Tutte le genti che passeranno, E tutti quelli che passeranno Mi diranno "Che bel fior! " Und die Leute die daran vorbeigehen Und alle jene die daran vorbeigehen Werden mir sagen: "Welch schöne Blume! " "È questo il fiore del partigiano", "È questo il fiore del partigiano, morto per la libertà! " Dies ist die Blume des Partisanen Der für die Freiheit starb Das Lied wird auch mit leicht verändertem Text gesungen. ] Beispielsweise " Stamattina mi sono alzato " statt " Una mattina mi son svegliato ", usw. Der deutsche Text ist eine möglichst textnahe Übersetzung. Die Melodie des Liedes "Bella Ciao" soll bereits Anfang des 20. Jahrhunderts von den " mondine ", den Reispflückerinnen der Po-Ebene, gesungen worden sein. Der Text beschreibt die Arbeit auf den Reisfeldern und beklagt die harten Arbeitsbedingungen unter der stechenden Sonne.
Die Wut ist die von Partisanenverbänden und von politisch links stehenden Menschen, für die der Kampf für die Freiheit und gegen die Unterdrückung nie geendet hat. Sie beurteilen die Versionen des berühmten DJs und seiner zahlreichen Nachahmer nicht nur als "musikalische Verunstaltung", sondern auch als "inakzeptabel", "respektlos" und "beschämend". Wenn man auf Youtube nach dem Lied sucht, sind die Treffer zum größten Teil Popmusik-Remix. Das ist schlimmer als respektlos, es ist die Vereinnahmung eines Symbols durch schnöden Kommerz. Während die seichtesten Schlager durch ein strenges Urheberrechtsgesetz geschützt sind, kann jeder dieses Lied, das es verdient hätte, zum Weltkulturerbe zu werden, widerspruchslos verunstalten. In Italien ist und bleibt dieses Lied zu recht ausschließlich ein politisches Lied, wie auf folgendem Video zu sehen ist, das eine Veranstaltung zum Nationalfeiertag in Italien darstellt. Alle singen mit. Jeder Italiener kennt den Text!
Bella, ciao! Bella, ciao, ciao, ciao! Tutte le genti che passeranno, Mi diranno «Che bel fior! » «E questo è il fiore del partigiano», Oh bella, ciao! Bella, ciao! Bella, ciao, ciao, ciao! «Questo è il fiore del partigiano, Morto per la libertà! » Ich bin heute Morgen aufgestanden, Oh Schöne, tschüss! Schöne, tschüss! Schöne, tschüss, tschüss, tschüss! Ich bin heute Morgen aufgestanden, Und fand den Eindringling. Oh Partisan, bring mich weg, Oh Schöne, tschüss! Schöne, tschüss! Schöne, tschüss, tschüss, tschüss! Oh Partisan, bring mich weg, weil ich das Gefühl habe, dass ich sterbe. Und wenn ich als Partisan sterbe, Oh Schöne, tschüss! Schöne, tschüss! Schöne, tschüss, tschüss, tschüss! Und wenn ich als Partisan sterbe, Musst du mich begraben. Und dort oben in den Bergen begraben, Oh Schöne, tschüss! Schöne, tschüss! Schöne, tschüss, tschüss, tschüss! Und dort oben in den Bergen begraben, Im Schatten einer schönen Blume. Alle Menschen, die vorbeigehen werden, Oh Schöne, tschüss! Schöne, tschüss!