Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27. 03. 2021 Aufstieg und Fall des Unterdrückers Heinrich Manns Satire "Der Untertan" zeigt uns die Deutschen am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Literaturlexikon Online: Zillich, Käthchen. Dank einer neuen Edition verstehen wir endlich besser, worauf der Autor zielt. Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs war "Der Untertan" (1918) abgeschlossen. Vorabdrucke im angriffslustigen "Simplicissimus" 1911 und 1912 sowie auch in der Münchner Wochenschrift "Zeit im Bild" empfahlen ihn als satirischen Zeitroman - "ein in Deutschland bisher wenig gepflegtes Gebiet", wie es in der Vorankündigung heißt. Später erschienen Heinrich Mann der kommende Krieg und die Niederlage in seinem "Roman des bürgerlichen Deutschen" bereits greifbar nahe - und sogar der Faschismus, wie er sich mitten im Zweiten Weltkrieg erinnert. Pünktlich zum heutigen 150. Geburtstag des Schriftstellers liegt dieses Mentalitätsporträt der Deutschen endlich wieder vor, noch dazu in der legendären gelben Reihe von Reclam, die es in so viele Hände schafft.
Produktbeschreibung In sechs Großkapiteln wird die Aufstiegsgeschichte des Kleinstadtpotentaten Diederich Heßling erzählt, der um 1870 geboren wird: ein symbolträchtiges Datum, das den Protagonisten als Repräsentanten der spätgründerzeitlichen Epoche erscheinen lässt. Im Zentrum der Lebensgeschichte Heßlings stehen die Jahre 1890-97. Diederich und die frauen der untertan (Hausaufgabe / Referat). Diederich erfährt seine frühe Prägung als empfindsames Kind eines Kleinunternehmers, das in seiner Individualität gebrochen wird durch die als schrankenlos erfahrene Macht des Vaters und anderer >>furchtbarer Gewalten<< vom >>lieben Gott<< bis zum Schullehrer, denen das Kind Gehorsam leisten muss. Der Heranwachsende entwickelt gegenüber Machtpersonen autoritäre Unterwürfigkeit, gegenüber Schwächeren hält er sich aggressiv schadlos - der Untertan als sadomasochistischer Sozialtyp wird erzogen, nicht geboren. Mit seinem Studium der Chemie in der Reichshauptstadt Berlin vollendet sich das Untertanen-Profil Diederichs: Er wird Mitglied der Studentenverbindung der >>Neuteutonen<<, die ihn lehrt, sein Individual-Ich an das >>große Ganze<< von Wissenschaft, Korporation, Militär, Bürokratie, deutschnationaler Partei, Staatskirche und Monarchie abzutreten.
An den tieferen Gehalt des Romans reicht Jyschs episodische Bildstrecke indes nicht heran. Denn die eigentlichen Pointen und damit auch die Aktualität liegen nicht in der äußerlichen Handlung, die man sonst auch mit Joseph Roths zeitnaher Novelle "Der Vorzugsschüler" (1916) weitaus knapper fassen könnte. Der "durchschnittliche Neudeutsche, der den Berliner Geist in die Provinz trägt", ist einer Notiz Heinrich Manns von 1907 zufolge der Wesenskern. Im Detail möchte er studieren, wie dieser Typus allmählich deformiert wird, etwa durch den "unerbittlichen, menschenverachtenden, maschinellen Organismus" des Gymnasiums. Er interessiert sich für die Macht, "gegen die wir nichts können, weil wir sie lieben". Es ist das Erlebnis in einer marschierenden Masse oder vor einer folgsamen Belegschaft, die man vor der "roten Gefahr", vor "Umsturz" und "Aufruhr" warnt, vor allem aber vor der "Schlammflut der Demokratie". Der Untertan von Heinrich Mann: Lektüreschlüssel mit Inhaltsangabe, Interpretation, Prüfungsaufgaben mit Lösungen, Lernglossar. (Reclam Lektüreschlüssel XL) von Pelster, Theodor (Buch) - Buch24.de. Gemeint sind die Sozialdemokraten, damals noch eine starke Bewegung. Ihr gilt die kaiserliche Lieblingsformel: "den Feind zerschmettern".
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4. 0 International License (CC-BY-SA) Dies gilt fr alle Inhalte, sofern sie nicht von externen Quellen eingebunden werden oder anderweitig gekennzeichnet sind. Autor: Gert Egle/
Leider: es ist der deutsche Mann schlechthin gewesen; wer anders war, hatte nichts zu sagen, hieß Vaterlandsverräter und war kaiserlicherseits angewiesen, den Staub des Landes von den Pantoffeln zu schütteln. [... Der untertan diederich und die frauen. ] Ein Stück Lebensgeschichte eines Deutschen wird aufgerollt: Diederich Heßling, Sohn eines kleinen Papierfabrikanten, wächst auf, studiert und geht zu den Korpsstudenten, dient und geht zu den Drückebergern, macht seinen Doktor, übernimmt die väterliche Fabrik, heiratet reich und zeugt Kinder. Aber das ist nicht nur Diederich Heßling oder ein Typ. Das ist der Kaiser, wie er leibte und lebte. Das ist die Inkarnation des deutschen Machtgedankens, da ist einer der kleinen Könige, wie sie zu Hunderten und Tausenden in Deutschland lebten und leben, getreu dem kaiserlichen Vorbild, ganze Herrscherchen und ganze Untertanen. ] Denn diese beiden Charaktereigenschaften sind an Heßling, sind am Deutschen auf das subtilste ausgebildet: sklavisches Unterordnungsgefühl und sklavisches Herrschaftsgelüst.
Ich hab's ja gesagt. Dieses Buch ist widerspenstig. Man möchte Agnes schnappen und mit ihr aus der Szene gehen. Ganz unübersehbar sieht sie in diesem Diederich etwas anderes, als er ist. Aber sie entkommt ihm nicht. Oder besser: Sie will ihm nicht entkommen. Denn auf den nächsten Seiten übernimmt sie die Regie und sorgt dafür, dass Diederich wieder zurückkehrt an den Tisch der Göppels. Und sie ist es auch, die ihn in seiner Junggesellenbude verführt. Und Diederich kann sich nicht wehren, weil es zum Glück auch im wütendsten Kaiserverehrer Hormone gibt und Gefühle, gegen die er nicht ankommt. Sie zog ihn hin und er ließ es sich wonniglich gefallen. Auch wenn das stellenweise herrlichster Junger-Mädchen-Ton aus wilhelminischen Damenromanen ist: "Du mußt nicht denken, daß ich etwas von dir verlange. Ich habe dich geliebt, nun ist alles gleich. " Das ist kein feines Porzellan. Sie weiß schon, wie sie den gut erzogenen Bürger in ihm kitzeln kann. Auch wenn er nicht antwortet. Da braucht er schon ein Weilchen, um sich in seiner Beunruhigung zu wälzen.