Heinrich von Kleist: Das Bettelweib von Locarno Heinrich von Kleist Das Bettelweib von Locarno Am Fuße der Alpen bei Locarno im oberen Italien befand sich ein altes, einem Marchese gehöriges Schloß, das man jetzt, wenn man vom St. Gotthard kommt, in Schutt und Trümmern liegen sieht: ein Schloß mit hohen und weitläufigen Zimmern, in deren einem einst auf Stroh, das man ihr unterschüttete, eine alte kranke Frau, die sich bettelnd vor der Tür eingefunden hatte, von der Hausfrau aus Mitleiden gebettet worden war. Der Marchese, der bei der Rückkehr von der Jagd zufällig in das Zimmer trat, wo er seine Büchse abzusetzen pflegte, befahl der Frau unwillig, aus dem Winkel, in welchem sie lag, aufzustehn und sich hinter den Ofen zu verfügen. Die Frau, da sie sich erhob, glitschte mit der Krücke auf dem glatten Boden aus und beschädigte sich auf eine gefährliche Weise das Kreuz; dergestalt, daß sie zwar noch mit unsäglicher Mühe aufstand und quer, wie es ihr vorgeschrieben war, über das Zimmer ging, hinter dem Ofen aber unter Stöhnen und Ächzen niedersank und verschied.
Vgl. Ulrike Landfester, ›Das Bettelweib von Locarno‹. In: Walter Hinderer (Hg. ), Interpretationen. Kleists Erzählungen, Stuttgart 1998, S. 141–156, hier S. 145. Vgl. Georg Mein, Fantastik als Korrektiv der Wirklichkeit. Überlegungen zur Theorie des Fantastischen und zu Kleists ›Bettelweib von Locarno‹. In: Der Deutschunterricht 58 (2006), H. 3, S. 10–20, hier S. 19. Vgl. Eckart Pastor und Robert Leroy, Die Brüchigkeit als Erzählprinzip in Kleists ›Bet-telweib von Locarno‹. In: Études Germaniques 34 (1979), S. 164–175. So Bernd Fischer, Ironische Metaphysik. Die Erzählungen Heinrich von Kleists, München 1988, S. 84–90 (Kap. ›Das Bettelweib von Locarno‹). Vgl. Gero von Wilpert, Der Ausrutscher des Bettelweibes von Locarno. »Capriccio con fuoco«. In: Seminar 26 (1990), S. 283–293. CrossRef Vgl. Thomas Dutoit, Ghost Stories, the Sublime and Fantastic Thirds in Kant and Kleist. In: Colloquia Germanica 27 (1994), S. 224–254. Vgl. Michael Niehaus, ›Das Bettelweib von Locarno‹. Vorschlag für eine neue Nutzung eines Lesebuchtextes.
Der Ritter reist am nächsten Morgen umgehend ab. Um Gerüchte zu zerstreuen, die den Verkauf des Schlosses behindern, will der Marchese der Sache nun selbst nachgehen, auch er hört darauf die mitternächtlichen Geräusche. Eine weitere Nacht - nun mit der Marquise und einem Bediensteten - lässt alle drei den Spuk erfahren. Die nächste Nacht verbringen der Marchese und die Marquise mit einem Kettenhund an ihrer Seite in dem Zimmer. Als der Hund vor dem erneut auftretenden Spuk zurückweicht, flieht die Marquise; der Marchese versucht vergebens, den unsichtbaren Gegner mit seinem Degen zu bekämpfen, er zündet das Zimmer an: "Der Marchese, von Entsetzen überreizt, hatte eine Kerze genommen, und dasselbe, überall mit Holz getäfelt wie es war, an allen vier Ecken, müde seines Lebens, angesteckt. Vergebens schickte sie Leute hinein, den Unglücklichen zu retten; er war auf die elendiglichste Weise bereits umgekommen, und noch jetzt liegen, von den Landleuten zusammengetragen, seine weißen Gebeine in dem Winkel des Zimmers, von welchem er das Bettelweib von Locarno hatte aufstehen heißen. "
Vgl Vgl Ironische Fischer Metaphysik Ironische Metaphysik (wie Anm. 10), S. Vgl Poetiken des Übergangs in der Literatur des 19 Grenzwahrnehmungen Ehlers Zum Augenblick des ästhetischen ScheinsKap. ›Augenblickseuphorie und Selbstmord‹) Zum Plötzlichkeitsmotiv Heinrich von Kleists siehe dort auch: »den Selbstmord in Kleists Prosa selbst vorbereitet zu sehen, einer Prosa, die mörderisch ist Heinz Vgl Plötzlichkeit Bohrer Gero von Wilpert, Der Ausrutscher des Bettelweibes von Locarno. »Capriccio con fuoco« Kleists ›Das Bettelweib von Locarno‹-Eine Geschichte, die »eines tieferen ideellen Gehalts entbehrt«? In: Ders., Sprache im Prosawerk
Der letzten, für den Marquis im Tod endenden Nacht, tritt er "mit Herzklopfen" (S. 24, Z. 11) entgegen. Mit seinen letzten verbliebenden Machtsymbolen bewaffnet (S. 19) erwartet er mit Frau und Hund ein allerletztes Mal die Spukgestalt, die dem Ehepaar endgültig den Höhepunkt ihrer Angst aufzeigt. In Panik geratend und seiner Angst erliegend (S. 25, Z. 2-3) versagen schließlich auch seine Waffen und der Machtwechsel ist endgültig vollzogen. Im Gegensatz zum Marquis, der mittlerweile völlig von Sinnen ist (S. 7 ff. ), reagiert die Marquise "entschlossen" und "augenblicklich" (S. 3) und flieht Richtung Stadt. Anfangszustand: wohlhabender Marquis wohnt mit Ehefrau in seinem Schloss Endzustand:Marquis ist umgekommen, sein Schloss liegt in Trümmern Die Zeitspanne, die benötigt wird um die Novelle zu lesen, ist deutlich kürzer als der Zeitraum der fiktiven Handlung. Sprich, die erzählte Zeit ist deutlich länger als die Erzählzeit. Die Abfolge des eigentlichen Geschehens, die Binnengeschichte, ist zwar chronologisch verfasst, jedoch findet sich eine "Umstellung der chronologischen Ordnung" (i. e. Anachronie) (Martinez/Scheffel 2009: 33) zu Beginn der Novelle wieder.
65-71). Mit dem Schlusssatz verknüpft der Erzähler die beiden Ereignisse, den Tod des Bettelweibs und die Vernichtung des Marquis, über die Identität des Ortes. Seinen Hinweis darauf, dass die Gebeine "noch jetzt" da liegen (Z. 80), könnte man als eine Mahnung oder als Trost lesen, dass jedes Unrecht letztlich gesühnt wird. P. S. Der Kollege Lennart hat darauf hingewiesen, dass sich in der Novelle auch adelskritische Aspekte finden lassen (der arrogante, brutale Marchese als Adeliger).
Hallo liebe Community, momentan bereite ich eine Präsentation über Heinrich von Kleists Novelle "Das Erdbeben in Chili" vor. Obwohl ich Kleists Biographie sowie diverses gelesen habe, komme ich nicht wirklich drauf, was uns Kleist mit seinem Werk sagen will. Am Ende alle erschlagen - selbst ein Kind. War Kleist, der ja freiwillig in den Krieg zog, vielleicht depressiv? Oder sind es andere Gründe, die ihn zum Schreiben dieser Novelle bewogen haben. Vielen Dank für Eure Antworten:-) Lg